Der Vinschgau ist reich an Schätzen, sei es kulinarischer oder künstlerischer Natur. Einer, den vor allem ältere Generationen hüten, sind Hunderte Sagen und Legenden, die über die Jahrhunderte überliefert wurden. Mystische Orte, verbotene Liebschaften und große Taten (oftmals von belegten historischen Persönlichkeiten) finden im Geschichtenreichtum ebenso Platz wie fantastische Wesen, magische Verwünschungen und unglaubliche ungelüftete Geheimnisse. Zwei der vielen Sagen wollen wir Ihnen vorstellen. Sie spielen beide im Obervinschgau, in dem auch unser Aktiv und Wellnesshotel **** Traube Post liegt; gern können Sie die Orte heute noch besuchen, an denen sie sich zugetragen haben sollen.
Tartscher Bühel
Unweit von Mals, nach einer kurzen Fahrt von unserem Hotel am Reschensee aus erreichbar, erhebt sich majestätisch der Tartscher Bühel. Benannt nach dem nahen Dorf Tartsch, wirkt er wie ein unscheinbarer, wenngleich landschaftlich schöner Hügel. Doch der Sage zufolge stand dort einst eine Stadt, deren Bewohner sich heidnischen, gotteslästerlichen Freuden hingaben – weshalb sie schließlich im Boden versank, ähnlich dem biblischen Sodom. Einer Überlieferung zufolge häuteten die Bewohner einen Ochsen lebendig und salzten seine Wunden, um über seinen Schmerz zu lachen; einer bedeutend kindertauglicheren Version nach wiesen die geizigen Bewohner einen Pilger ab (der evtl. der Herrgott in Verkleidung war). Diese Handlung bestätigt ein Gedicht, das mancher Einheimische, den Sie in Ihrem Urlaub in Vinschgau treffen werden, noch aus seiner Schulzeit auswendig kennt:
Die Sage vom Tartscher Bühel
Der Tartscherbühl ist wohlbekannt
im Vinschgau im Tirolerland.
Ein Städtchen war in alter Zeit
allda voll Glanz und Sauberkeit.
Die Leute liebten Tanz und Spiel,
der Herrgott aber galt nicht viel.
Einst kam, vom vielen Wandern matt,
ein Pilger abends in die Stadt.
„Der Weg ist nass, die Nacht ist kalt,
hab nichts gespeist und bin schon alt.
Oh lasst mich schlafen über Nacht,
bis morgen früh die Sonn aufwacht!“
„Willst schlafen du? Der Pfad ist weit,
kannst schlafen, wo dich’s immer freut;
der Schnee bedecket Straß‘ und Bühl
Mit weißem Leinen, frisch und kühl.
Die Sternlein leuchten dir voll Pracht –
so schlaf nur, Alter, gute Nacht!“
Es schwankt der Greis zum Tor hinaus
und kommt zum allerletzten Haus:
„Gott segne, Bäuerin, euren Tisch,
voll Wein und Kuchen, Fleisch und Fisch;
doch gebt auch mir ein Stücklein Brot,
sonst findet mich der Morgen tot.“
„Das weiche Brot schenkt man nicht her,
zum harten hast kein Zähnlein mehr.
Das weiße Brot ist für mein Kind;
fort, Alter, tummle dich geschwind! „
Der Pilger wankt zum Tor hinaus,
gar nass und finster ist es drauß.
Den kalten Stein erfasst die Hand,
den schleudert er zur Stadt gewandt.
„Fühllose Stadt, so kalt wie Stein,
sollst ewig wüst und öde sein.
Sollst ohn‘ Erbarmen untergeh’n,
nie höre Gott dein jammernd Fleh’n!“
Als nun der Stein am Tore prallt,
der Boden öffnet sich alsbald;
es bebt der Grund und Hof und Scheun‘
und Haus und Schloss versinken ein;
der Mann, das Weib, der Greis, das Kind
im tiefen Schutt begraben sind.
Wo stolz die Stadt in alter Zeit
geglänzt, ist’s öde weit und breit.
Kein Denkmal gibt den Platz dir kund,
wo Haus um Haus einst fröhlich stund.
Der Tartscherbühel steht allein
und mahnt: Dein Herz sei niemals Stein!
Der Glurnser Mäuseprozess
Glurns, das mit 900 Einwohnern wie ein typisches Dörfchen wirkt, ist in Wahrheit die kleinste Stadt Südtirols. 1304 erhielt Glurns Stadtrecht, das bis heute den legalen Status als solche aufrechterhält. Davon zeugt auch die vollständig erhaltene Stadtmauer, die Glurns umgibt.
Glurns war Sitz der Verwaltung, d.h. des herzoglichen Abgesandten, der im Jahr 1519 einen spektakulären Prozess abhielt. Die Stilfser Bauern (ein weiteres Dorf in der Nähe) gegen die Mäuse, die ihre Felder leerfraßen und verwüsteten. Was wie eine närrische Fasnachts-Idee klingt, ist historischen Zeugnissen zufolge so passiert!
Die Stilfser Bauern führten in ihrer Anklage an, dass es der Schadens durch die Mäuse unmöglich mache, Abgaben an Kirche und Herzog zu zahlen. Wie es sich gehört, wurden die Mäuse von einem Anwalt verteidigt; dieser argumentierte, dass es Sache der Feldpolizei sei, dies zu überwachen und dafür „weniger Wein im Wirthshause [zu trinken]“. Der Teil der Klage, der den Verlust an Nahrung betreffe, sei begründet, allerdings könnten deshalb auch die Mäuse eine Gegenklage an die Menschen richten. Seien denn die Mäuse nicht auch Geschöpfe Gottes, die sich ernähren müssten?
Weiterer Anklagepunkt war u.a. die „gottlose Ehe“ der Mäuse mit Dutzenden ledigen Kindern, doch wurde argumentiert, dass „die Mäuse nur Beispielen folgen würden, die näher zu bezeichnen [man] Bedenken trage“, ein Seitenhieb auf gewisse Personen des öffentlichen Lebens zu jener Zeit.
Nachdem Zeugen – wundersamerweise darunter keine Maus! – befragt wurden, war das Urteil gefällt: Die Mäuse wurden zum Verlassen der Felder gezwungen. Man versicherte freies Geleit bis zum Nachbardorf, eine der Etschbrücken in dieser Gegend wurde sogar extra erbaut. Nicht bekannt ist, ob sich die Mäuse auch daran gehalten haben; den Weg, den sie einschlugen, kann man heute als gemütliche Familienwanderung nachverfolgen.
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